Gerd Pollakowski Blinde Passagiere an Bord von MS FREYBURG
Die weitere Rückreise sollte nicht mehr so normal verlaufen. Jeder Bereich der Komplexbrigade (Deck und Maschine) hatte seinen eigenen Kühlschrank in der Mannschaftsmesse, der für die Nachtwache von den Stewardessen immer gut bestückt wurde. Auch für den kleinen Hunger zwischendurch war das ein guter Anlaufpunkt. Am ersten Abend auf See freute ich mich auf einen Joghurt, den ich mir vom Frühstück aufgehoben hatte. Aber ich freute mich wohl zu früh, denn der Joghurt war weg. Vor dem Kühlschrank stand ein Maschinenassistent und schimpfte wie ein Rohrspatz, daß sich jemand seines letzten Bieres bemächtigt habe. Auch bei der Decksgang passierten an diesem Abend ähnliche Dinge, die sich in den nächsten Tagen bei frischem Obst, Cola usw. fortsetzten. Damit herrschte in der Mannschaft eine sehr mißtrauische Stimmung. Keiner sprach den Verdacht aus, aber einer beobachtete den anderen. Der Koch bemerkte, das die Wachsmatrosen in letzter Zeit essen würden wie die Scheunendrescher, was diese aber heftig bestritten. Am vierten Abend übernahm der Kapitän die 0-4 Wache des 2.NO, der seinen Geburtstag feierte. Nach Wachende erfolgte sein Kontrollgang von der Brücke durch die Aufbauten nach unten. Dabei begegneten ihm auf dem Niedergang zwei Fremde. Sie drehten sich schnell um und rannten davon, ob nach unten in die Aufbauten oder an Deck war vorerst unklar. Der Kapitän eilte zurück zur Brücke und informierte über die Sprechanlage die Besatzung das zwei Überschmuggler an Bord waren. Er forderte die weiblichen Besatzungsmitglieder auf ihre Kammern sofort zu verschließen. Die Männer erhielten den Auftrag alle inneren Aufbauten einschließlich Maschinenraum zu durchsuchen und den Verschlußzustand herzustellen. Die Durchsuchungsaktion verlief negativ. Im Dunkeln nach den blinden Passagieren zu suchen wurde als zu gefährlich erachtet, sodaß die Suchaktion auf 8.00 Uhr morgens verschoben wurde. Die Situation war jetzt bei Jedem von uns natürlich von Angst geprägt. Der Leser stelle sich folgende Situation vor: Er weiß, daß sich in seinem Haus fremde Personen befinden, entdeckt aber niemand. Er weiß nicht ob die Fremden bewaffnet sind und ihm etwas Böses zufügen wollen. Er kann auch keine Hilfe rufen oder sein Haus verlassen, denn im ganzen Land herrscht Hochwasser. Nach dem Frühstück versammelte sich die gesamte Besatzung auf der Brücke. Wir befanden uns in der Biskaya und es herrschte verhältnismäßig ruhige See. Nun wurden die Gangs für die Suchaktion eingeteilt. Ich hatte die Aufgabe alle Stores zu kontrollieren die zum E-Bereich gehörten. Bevor die Räume betreten werden, sollte angeklopft werden. Außerdem kontrollierte ich gemeinsam mit dem Eisbär alle Lüftungsschächte. Da auch auf dem Vorschiff keine Fremden zu finden waren, blieben nur die Ladeluken als Versteck. Das Betreten wurde jedoch untersagt, da über Herkunft, Vorhaben und eventueller Bewaffnung der Fremden nichts bekannt war. In Übereinkunft mit dem LTO wurde CO2-Alarm ausgelöst, dabei aber nur Luft durch die Ventile geblasen. Das geschah Luke für Luke, wobei immer ein, durch die mit Knüppeln bewaffnete Decksgang umstellter Lukeneinstieg geöffnet wurde. Auch diese Aktion verlief negativ. Gegen Mittag meldete der Koch oder der 2.TO, daß von innen an das Schott der CO2-Station geklopft wird. Wieder mit Schlagwerkzeugen ausgerüstet wurde dieses nun von Besatzungs-mitgliedern geöffnet. Die beiden Überschmuggler hatten sich hinter den CO2-Flaschen-Batterien versteckt, waren stark verschmutzt, froren sehr, verhielten sich aber friedlich. Vorerst wurde der Feuerlöschschlauch klar gemacht und sie bekamen eine gründliche Ganzkörperwäsche. Danach erhielten sie Bekleidungsstücke von der Besatzung und aus der Putzlappenkiste Gefunden wurden bei den blinden Passagieren eine Zeitung in russischer Schrift und ein paar Rubel. Bei der Befragung durch den Kapitän gaben sie an, fahnenflüchtige Palästinenser zu sein, die vom nordafrikanischen Festland nach Fuerteventura auf einem russischen Frachter übergeschmuggelt sind. In Puerto del Rosario hätten sie sich unter die Stauergang gemischt und wären so auf unser Schiff gekommen. Über die sofort informierte Reederei wurde eine Dolmetscherin beauftragt während eines Telefonats die beiden Fremden nach deren Herkunft zu fragen. Die Dolmetscherin ordnete sie als Marokkaner ein. Eine Kommunikation mit ihnen war fast unmöglich. Sie beschränkte sich auf Bilder malen, da angeblich Keiner eine der Weltsprachen beherrschte. Zum Schlafen wurde für sie das Ladebüro hergerichtet und abgeschlossen. Achmed und Kamel, so ihre genannten Namen, wurden vom Bootsmann für die restlichen Tage der Überfahrt zu Reinschiffarbeiten eingeteilt. Dafür bekamen sie zu Essen und zu Trinken und ab und zu eine Zigarette. Nach dem Einlaufen in Hamburg am 17. Oktober 1991 führte sie die Hamburger Polizei von Bord. Wenig später kam unsere Ablösung und wir hatten zu Hause allerhand zu erzählen. Der Autor bedankt sich beim ehemaligen Kapitän Michael Müller |
DSR-Seeleute, |