Richard Kanwischer
Ablösung auf Seemannsart
Im Jahre 1976 führte der Eisbrecher STEPHAN JANTZEN mit guten Erfolgen eine Reihe von Verschleppungsaufträgen durch, die dem Betrieb (BBB) gut zu Gesicht standen. Einen dieser Aufträge absolvierten wir im Sommer in der Nordsee und beförderten im Schlepp Erdölausrüstungen zwischen Holland, Nordschottland und Norwegen. Wir waren schon über zwei Monate im Einsatz und die Rufe nach Ablösung wurden immer lauter. Betrug doch unser normaler Ablöserhythmus zwei Wochen. Aber wie bewerkstelligen? Die meiste Zeit befanden wir uns auf hoher See und die Schleppaktionen entwickelten sich operativ, ohne genaue Kenntnis der nächsten Ziele. Wie die Ablösung dann doch noch abgewickelt wurde, daran werden wir uns noch lange erinnern.
Unsere Firma hatte die alte BEREITSCHAFT gechartert, ein Versorgungsschiff der DSR, das in früheren Zeiten schon in unserem Vorgängerbetrieb als Taucherei-Versorgungsschiff betrieben wurde. Das gute alte Schiff wurde mit der Ablösebesatzung in die Nordsee beordert, um uns zu suchen und die Besatzung zu tauschen. Wir befanden uns zu dieser Zeit in einem Erdölfeld nordöstlich von Schottland mit einer riesigen Barge, beladen mit Ausrüstungsgegenständen. Es war an einem freundlichen Morgen Mitte August, als plötzlich gegen 05.00 Uhr der Ruf durch das Schiff erscholl: "Die Ablösung kommt!"
In der grauen Weite der Nordsee erschien die BEREITSCHAFT wie eine winzige Nußschale. Sogleich begannen die Vorbereitungen für die Übergabe des Schiffes, die bei vollem Betrieb erfolgen mußte. Als Wachhabender in der Maschine konnte ich nicht verfolgen, was an Deck alles lief. Dort wurde ein Boot zu Wasser gelassen, um die neue Besatzung herüber zu holen. Auf der BEREITSCHAFT hatten sie gerade einen netten Sturm abgeritten. Sie sahen alle noch recht blass aus. Auch die beiden Frauen, die Köchin und die Stewardess, waren sichtlich erleichtert, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Im Leitstand erschien bald darauf der neue Wachingenieur, ein sehr gewissenhafter Mensch, der alles genau wissen wollte. Entsprechend langwierig wurde die Übergabe. Inzwischen war oben der Wechsel der Besatzung fast beendet und in der Hektik der Ereignisse, hatte man mich beinahe vergessen. Plötzlich schrie jemand in den Maschinenschacht. "Richard komm hoch, das Boot legt ab! Vor Schreck stieß ich mir fürchterlich den Kopf beim Sprung durch das Maschinenschott. Im Galopp erreichte ich meine Kammer, riß mir die Arbeitssachen vom Leibe und packte meine sieben Sachen ein. Von packen kann nicht die Rede sein, ich stopfte. Dann stürmte ich an Deck, d.h. ich wollte, mein Schienbein mußte sich unbedingt noch vom Süll des Schotts verabschieden. An Deck hörte ich schon: Los,los die BEREITSCHAFT will abdrehen. Ich warf meinen Koffer ins Boot, der dabei aufplatzte und kletterte hinterher. Das Boot legte sofort ab und ich blickte noch eine Weile auf den immer kleiner werdenden Eisbrecher zurück. Jetzt begann ich auch langsam mitzubekommen, was ich alles vergessen hatte. Was half`s, ich war ja bald wieder da.
Bei der BEREITSCHAFT angelangt, bedeuteten mir einige grinsende Gesichter, daß die Belegung des Luxus-Passagierschiffes bereits abgeschlossen war. Da stand ich nun, mit einer mächtigen Beule am Kopf, blutendem Schienbein und schwarzen Händen, neben mir mein aufgeplatzter Koffer. Die BEREITSCHAFT lief bereits auf Heimatkurs. Während ich noch unschlüssig dastand, eine freie Backskiste gab es für mich nicht mehr, geschweige denn eine Koje, erschien unser Bootsmann Billy und tröstete mich. Mokt nix, ik hew wat bederes för di, sagte er und deutete auf die Luke. Was denn, in den Laderaum? Das war die Krönung! Aber mir war schon alles egal. Ich griff nach meinem Koffer und folgte ihm. Unten zeigte mir Billy sein Quartier. Zwischen zwei Fruchtgutkisten hatte er sich aus einigen Decken ein bequemes Lager eingerichtet. Mir blieb nichts anderes übrig, als es ihm gleich zu tun. Billy half mir dabei und reichte mir dann seine Buddel. Prost, up gode Fohrt! Ich nahm einen kräftigen Schluck und streckte mich aus. Es war angenehm kühl, frische Seeluft blies uns durch den Laderaumlüfter auf unsere Hilfskojen. Es roch nach Holz und Teer. Neben mir plätscherte leise das Wasser in der Bilge, und wie aus weiter Ferne war das dumpfe Stampfen der Maschine zu vernehmen. Da ich eine Nachtwache hinter mir hatte, schlief ich schnell ein, sanft gewiegt durch die Nordsee.
Am Nachmittag besuchten wir unsere Kameraden im Achterschiff. Dort war noch keiner richtig zur Ruhe gekommen. Es war sehr eng in den kleinen Kammern und die schmalen kurzen Backskisten waren wenig geeignet für einen erholsamen Schlaf. Die Luft war stickig, es roch nach Seemann und außerdem herrschte gehöriger Lärm durch die Maschine und der außen freiliegende, durch Ketten und Stangen betätigte Ruderquadrant kündigte jede einzelne Ruderbewegung durch lautes Klirren und Quietschen an.
Diesmal lag die Schadenfreude bei uns und schnell suchten wir wieder unsere Luxuskabine auf. So verbrachte ich einige Tage als Passagier der Extraklasse, tagsüber in der Sonne liegend, nachts auf einem bequemen Lager bei frischer Seeluft. Die Passage durchs Skagerrak überraschte uns mit einem steifen Nordwest. Aber die alte BEREITSCHAFT durchfurchte die Wellen unerschrocken, gleich einem Delphin, halb unter, halb über Wasser. Achtern schwitzten sie in den engen Höhlen wie die Affen, während wir vorne bei frischer Luft dem Klatschen der Wellen am Bug lauschten. Was störte uns schon das bischen Wasser, das durch die Ritzen der Lukenabdeckung auf uns herabtropfte.
Der Koch der BEREITSCHAFT, dem wohl noch keine Seebeine gewachsen waren, hatte so seine Schwierigkeiten mit seinem eigenen Mageninhalt. Unser Koch schob ihn aus der Kombüse in seine Kammer und übernahm die Geschäfte. In der schwedischen Hafenstadt Helsingborg gab es einen kurzen Aufenthalt zum Löschen der wenigen Frachtgutkisten aus unserem Laderaum. Was mochten wohl die schwedischen Schauerleute gedacht haben, die in der Frühe durch die geöffneten Luken blickten und uns dort unten zwischen den Kisten liegen sahen? Wir rollten unsere Decken ein und gingen erst einmal an Land, um die Stadt zu besichtigen. Am nächsten Abend verließen wir in Rostock gut gelaunt das Schiff. Die Ablösung hatte geklappt, wir konnten die restlichen Wochen des Sommers bei unseren Familien sein, was gab es Schöneres. Es blieb die Erinnerung an ein nettes Abenteuer.
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