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Peter Hartmann

Der vertauschte Luftkoffer

 

Vietnam-Halong Bay "How long day in Halong Bay?" Das heißt Reedezeit und Warten auf das erlösende Kommando "Anker auf" zum Einlaufen nach Haiphong/Vietnam. Auch die MEYENBURG lag wochenlang in der romantischen Halong Bay. Zwischen den bizarren Felsen warteten wir gemeinsam mit einigen sowjetischen Schiffen und der ERFURT auf das Verholen.

Eine angekündigte schnelle Reise, wurde für einige Besatzungsmitglieder zum Alptraum. Weihnachten rückte immer näher und alle hatten schon Pläne für zu Hause. Jeder koppelte in seiner Kammer vor, ob denn Weihnachten noch zu schaffen wäre. Da kam von der Reederei die Order nach dem Löschen in Haiphong auch noch in Shanghai/China zu laden. Die Gesichter wurden finsterer, die Stimmung sehr gereizt und die kollektive Harmonie verwandelte sich bei einigen Seefahrern in eine mittelschwere Aggression.

Verzweifeltes Trinken und kleine Streitigkeiten zwischen den Maschinenleuten und der Nautik, oder Alle gegen die Reederei, ließen das Stimmungsbarometer auf Sturm steigen. Die etwas ruhigeren und abgeklärten Seeleute versuchten immer wieder die Wogen zu glätten. Unser Kapitän R. Geetz bemühte sich um bessere Stimmung, was ihn dann auch gelang. Er bat die Reederei, die Besatzung umschichtig ausfliegen zu lassen, so daß jeder ca. 10 Tage zu Hause sein konnte. Die Reederei genehmigte die Urlaubsflüge und die Überraschung und Freude war riesengroß. Auch die vietnamesischen Behörden erlaubten die Reise von der Halong Bay per Boot nach Haiphong und von dort mit dem Auto nach Hanoi-Flughafen.

Reiseführer der ersten Gruppe wurde ich als II. Nautischer Offizier. Meine Aufgabe bestand darin, auf der Rückreise für die zweite Gruppe der Besatzung die Flugtickets mit nach Haiphong/Halong Bay zu bringen. Nach einer zünftigen Abschiedsparty bestiegen wir das Boot und tuckerten Richtung Haiphong, wo wir im chinesischen Interclub außerhalb des Hafens einquartiert wurden.

Wir wollten natürlich schnell abfliegen, mußten aber noch einige Tage bei lauwarmen Lua Moi und verdächtiger Verpflegung ( Hund oder Katze, oder Beides? ) in Haiphong aushalten. Dann ging es mit PKW “Wolga” und Jeeps nach Hanoi, vorbei an völlig zerbombten Zügen und Eisenbahn-anlagen. Die Brücken waren meist einspurig und wurden von Zügen und Autos in beiden Richtungen gleichzeitig befahren. Da kam es auf Schnelligkeit und Durchsetzungsvermögen an. Wir schafften es bis auf den Flugplatz, wo der Flieger aber erst am nächsten Tag starten konnte. Also wieder ab ins Hotel. Am nächsten Tag stiegen wir endlich in eine Interflugmaschine mit vier Propellern, leicht aufgeheizt, aber mit gutem Service. Über Indien wurde dann schon gesungen und die Landung in Berlin-Schönefeld erfolgte bei bester Laune.

Ich stand im Oktober kurzärmelig auf dem Bahnhof Berlin-Schöneweide um in Richtung Bautzen weiterzufahren. Die Leute schauten etwas mitleidig zu mir herüber, aber ich hatte meine Garderobe nicht auf Herbstkollektion umgestellt.

Es war eine tolle Überraschung für meine Familie, als ich plötzlich unangemeldet vor der Wohnungstür stand. Entgegen vielen anderen Erzählungen gab es keinen Fenstersprung, sondern nur echte Freude. Wie immer kam dann auch wieder der Tag des Abschieds. Da ich noch in der Reederei Rostock die Flugtickets abholen mußte, bin ich zwei Tage früher gefahren. Ich reiste wie immer mit meinem italienischen Luftkoffer, der blau/rot/grün/schwarz und außerdem klein gemustert war. Das war ein Geschenk meiner Eltern. Ein einmaliges Angebot, praktisch und preiswert. Ich holte die Rückflugtickets und andere Dienst- und Privatpost, reiste nach Berlin-Schönefeld und stellte dort die Vollzähligkeit der Truppe fest.

Der Rückflug war nicht so lustig. Man dachte noch an zu Hause und an die kommende Arbeit an Bord. In Hanoi im Halbdunkel gelandet, gab ich sofort Kommando: schnell Gepäck aufnehmen, zu den Autos rennen um als erste abzufahren, schon wegen der Brückenstaus. Nach dem Flug von 22 Stunden wollten nun auch alle Mann schnell an Bord. Wir schnappten also unser Gepäck. Ich meinen italienischen Luftkoffer und enterten die Autos.

Es ging wieder zügig nach Haiphong in den chinesischen Interclub. Ich wollte gerade meinen Koffer öffnen, da sagte der uns begleitende Reedereivertreter, daß ich den Koffer lieber nicht öffnen sollte. Ich guckte verdutzt und stellte mit Entsetzen fest, daß der Koffer mit schwarz-rot-goldenen Band und einem Siegel mit DDR-Emblem umwickelt war. Ein leichter Schweißausbruch und hilfesuchende Blicke Richtung Reedereivertreter mit der Frage, warum wohl mein Koffer versiegelt wurde? Der aber sagte, daß dieser Koffer Diplomatengepäck sei und er ihn mit zur Botschaft nähme. Schlußfolgerung; der einmalige preiswerte Luftkoffer hatte einen Doppelgänger im diplomatischen Dienst der DDR. Diese nun gesicherte Erkenntnis, verursachte einen schweren Schweißausbruch, innerlich wie äußerlich. Die Flugtickets waren weg und damit der Urlaubsflug der zweiten Gruppe nicht möglich. Mein Koffer der auf dem Flughafen in Hanoi stand, konnte auf Grund der militärisch umständlichen Administration nicht so ohne weiteres in die Halong Bay nach-geliefert werden.

An Bord machte ich dem Kapitän Meldung über den Verlust der Flugtickets. Es folgte eine deftige Kritik und eine Schutzhaft in seiner Kammer bei einer Flasche Gin. Der zweiten Reisegruppe wurde inzwischen schonend der Verlust der Flugtickets beigebracht. Aber wie im Märchen wurde am Ende alles gut.

Die zweite Reisegruppe startete planmäßig in der Halong Bay zunächst ohne Flugtickets. Im Beisein von vielen Verantwortlichen wurde auf dem Flughafen in Hanoi mein Koffer aufgebrochen. Die Flugtickets darin waren noch gut, der Kuchen aber nicht mehr.

Ich bekam meinen italienischen Schrottkoffer in Haiphong an der Pier übergeben. Er sah die Heimat nie wieder.


DSR-Seeleute,  Montag, 8. November 2004